Das Ausgleichsgetriebe
Eine kleine Lektion von Ing. Ottokar Escher
Die lose Rolle verteilt die in der Mitte wirkende Zugkraft gleichmäßig auf beide Stränge. | Trotz gleicher Kraftverteilung können die Wege an den beiden Strängen ungleich sein. |
Bild unten: Grundsätzlicher Aufbau eines Kegelradausgleichgetriebes
Schon von zwei- oder dreispännigen Pferdewagen wissen wir, dass in engen Kurven das äußere Pferd einen Schritt schneller laufen muss als das kurveninnere. Wir kennen auch die Ursache der gestaffelten Starts auf der Aschenbahn: Die Läufer erhalten nach außen zu entsprechend den größeren Bogenlängen scheinbare Vorgaben. Kein Wunder, dass man schon in der Frühgeschichte des Kraftfahrzeugbaus darauf sann, dem bei einem starren Antrieb der Hinterachse unvermeidlichen Gewaltschlupf der Räder bei Kurvenfahrt ein Reifenschonendes Schnippchen zu schlagen. So entstand schließlich das Ausgleichgetriebe, oder wie es auch genannt wird, das Differential.
Bei einem Pferdegespann wird die Kraft der Rösser von dem Ortscheit über die so genannte Waage (Bild rechts oben) auf einen einzigen, mittigen Zugpunkt übertragen. Bei einem Kraftfahrzeug ist es umgekehrt, hier wird die Kraft von einem mittigen Antrieb (Motor-Getriebe-Achsantrieb) auf zwei Räder übertragen. Sind hierbei die beiden Räder starr miteinander verbunden (wie bei dem bekannten Hanomag-Kommissbrot oder gegenwärtig bei den kleinen schnellen K-Wagen), dann tritt nicht nur bei jeder Kurvenfahrt, sondern auch schon bei unterschiedlich abgefahrenen Reifen oder unterschiedlichem Luftdruck in den Antriebsrädern ein zwangsweiser Schlupf auf, der als Reibungsverlust, hohen Reifenverschleiß und erhöhten Kraftstoffverbrauch mit sich bringt. Um das zu vermeiden, ordnet man zwischen den beiden Antriebsrädern ein als Waage funktionierendes Ausgleichgetriebe an.
Stellen Sie sich einmal eine lose Rolle vor, die mit konstanter Geschwindigkeit geradeaus gezogen wird und über die ein Seil gelegt ist, an dessen beiden Enden untereinander gleiche Lasten hängen (Bild links außen). Es besteht also Gleichgewicht an allen Strängen, die Rolle dreht sich nicht, alle Teile legen gleiche Wege zurück. Dies entspricht der Geradeausfahrt eines Kraftfahrzeuges. Bei einer Kurvenfahrt soll nun eine dieser Lasten
Bei einer dreispännigen Waage werden drei einzelne Zugkräfte auf einen gemeinsamen Zugpunkt übertragen. |
einen kleineren Weg als die andere zurücklegen. Wie sich bei einer Waage die eine Seite um den gleichen Weg senkt, um den sich die andere Seite hebt, so ist das auch bei der losen Rolle (Bild oben links). Das Ausgleichgetriebe gestattet schließlich den Rädern diese Beweglichkeit. Den grundsätzlichen Aufbau eines solchen Getriebes zeigt das Bild links unten, und hieran soll auch die Wirkungsweise erläutert werden:
Die Kardanwelle überträgt die Drehbewegung über das Antriebskegelrad d und das Tellerrad e auf den Rahmen f. Rahmen und Tellerrad sind fest miteinander verbunden. Die Ausgleichkegelräder g und h können sich im Rahmen drehen und übernehmen sinngemäß die gleiche Funktion wie die lose Rolle auf den Bildern 2 und 3, wobei aber anstelle des Seiles die Verzahnung zur Kraftübertragung dient. Die Abtriebszahnräder k und i sind schließlich über die Wellen c und b mit den Hinterrädern verbunden. Der Rahmen f ist durch die angedeuteten Büchsen drehbar auf den Wellen c und b. Bei Geradeausfahrt drehen sich beide Hinterräder gleich schnell, denn sie müssen gleiche Wege zurücklegen. Das bedeutet aber auch, dass sich die Abtriebsräder k und i zueinander nicht verdrehen, die Ausgleichsräder g und h bewegen sich folglich auch nicht und wirken wie starre Mitnehmer. Der Rahmen f dreht sich hierdurch auch nicht auf den Wellen c und b, sondern läuft mit der gleichen Drehzahl wie diese.
Bei Kurvenfahrt müssen die Hinterräder unterschiedliche Wege zurücklegen, ihre Wellen b und c und damit auch die Antriebsräder k und i dürfen sich nicht gleich schnell drehen, obwohl der Rahmen f nach wie vor von der Kardanwelle mit der gleichen Drehzahl angetrieben wird. Nehmen wir an, das Abtriebsrad i ist mit dem kurveninneren Hinterrad verbunden und muss sich langsamer drehen als das zum kurvenäußeren Hinterrad gehörende Abtriebsrad k. Jetzt treten die Ausgleichsräder g und h in Funktion und drehen sich. Stünde der Rahmen f still, so würde bei
Drehung des Ausgleichrades h in Pfeilrichtung das Abtriebsrad i mit der Welle b plötzlich rückwärts laufen, während das Abtriebsrad k mit der Welle c in Pfeilrichtung vorwärts läuft. Da der Rahmen f aber über Tellerrad e und Antriebskegelrad d nach wie vor mit konstanter Drehzahl angetrieben wird, drehen sich auch beide Abtriebsräder i und k vorwärts, das Rad i dreht sich aber jetzt langsamer als der Rahmen f und das Rad k um den gleichen Betrag schneller als der Rahmen. Der Rahmen bildet stets den Mittelpunkt und wirkt wie eine Waage.
Noch einmal einen Rückblick auf die Rolle: Wir können erkennen, dass eine Wegverlängerung auf der einen Seite immer für die andere Seite eine Wegverkürzung bedeutet. Genau so ist es auch im Ausgleichgetriebe. Was auf der einen Seite langsamer geht, muss auf der anderen Seite schneller gehen. Und wenn ein Hinterrad ganz stehen bleibt, dann muss das andere mit doppelter Drehzahl laufen. Diese Erscheinung kann man gut erkennen, wenn ein Fahrzeug stecken geblieben ist und ein Rad durchrutscht. Diese Rutscherei eines Rades ist bei Schnee und Eis oder z. B. bei Traktoren und Baustellenfahrzeugen im Gelände eine unangenehme Sache. Glücklicherweise gibt es hierfür eine Möglichkeit, mit relativ geringem Konstruktions- und Fertigungsaufwand das Ausgleichgetriebe zu blockieren. Damit werden beide Antriebsräder starr angetrieben und es erzeugt dann wenigstens das eine Rad, welches eine griffigere Auflage hat, eine entsprechende Vortriebskraft. Solche Blockiereinrichtungen sind unter dem Namen Differentialsperre bekannt. Wollten wir unser Modell - Ausgleichgetriebe sperren, so genügt es, wenn eine der Seitenwellen b oder c starr mit dem Rahmen f verbunden wird. So etwas ist durch ein Keilwellenprofil auf der Welle und stirnseitige Schaltklauen auf dem Rahmen f außerhalb der Büchsen in Verbindung mit einer hierzu passenden Schaltmuffe möglich. So schön eine solche Sperre auch ist, man muss unbedingt darauf achten, dass sie sofort wieder gelöst wird, wenn beide Räder wieder griffigen Boden erreicht haben. Kleiner Seitenblick auf den W50-Kipper: Hier leuchtet bei eingelegter Differentialsperre am Armaturenbrett eine Signallampe auf.
Doch zurück zur Funktion des (nicht gesperrten) Ausgleichgetriebes: Die Antriebsräder erhalten immer gleiche Drehmomente in gleichen Zeiteinheiten, sie legen aber unterschiedliche Wege zurück. Daraus lässt sich ableiten, dass sie auch unterschiedliche Leistungen übertragen. Das ist zwar rechnerisch für einen angenommenen Modellfall nachweisbar, bei den beiden Rädern einer Achse aber ohne weitere praktische Bedeutung. Der Einsatz von Ausgleichgetrieben ist aber nicht nur zwischen zwei gleich belasteten und gleich großen Antriebsrädern üblich. Denken wir einmal an Traktoren oder Zugmaschinen mit Allrad-Antrieb oder an ausgesprochene Spezialfahrzeuge. Hier werden ungleich belastete und auch ungleich große Räder von einem gemeinsamen Wechselgetriebe angetrieben. Das erfordert außer den jeweiligen konventionellen Ausgleichgetrieben je Antriebsachse (die man auch als symmetrisch wirkende Verteilergetriebe bezeichnen kann) ein spezielles Verteilergetriebe für die Abgabe verschieden großer Drehmomente und Drehzahlen. Benutzen wir die alte Technik (das Pferdegespann) noch einmal als Denkhilfe. Bei einem dreispännigen Fuhrwerk müssen zwei Pferde (über eine Zweier-Waage) am kurzen Ende und ein Pferd am langen Ende einer unsymmetrischen (Dreier-)Waage ziehen (Bild rechts). Auf unsere Ausgleich- und Verteilergetriebe bezogen ergeben sich dann Abtriebskegelräder mit unterschiedlichen Durchmessern und Zähnezahlen. Die Achsen der im Rahmen gelagerten Ausgleichkegelräder liegen dabei nicht auf einer Geraden- sondern stehen schräg in einem bestimmten Winkel zueinander. Solche Verteilergetriebe sind zwar technisch sehr interessant, aber sie sind eben doch nur wenigen Sonderfällen vorbehalten, die über die Anforderungen des allgemeinen Kraftfahrzeugbaues hinausgehen.
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