Ich liebe meinen Trabi
In seiner Hose regt sich nur etwas, wenn der Motor seines Autos läuft. Henry Täuflers Leben ist geprägt von zwei- und vierrädrigen Fortbewegungsmitteln. In der Automobilbauerstadt Ludwigsfelde wächst er auf und ist von Kindesbeinen an fasziniert von allem was fährt. Vom Mondmobil, mit dem das Sandmännchen eines Fernsehabends durch die Sendung rollt über Opas Saporosch, den Motorroller Troll seines Vaters bis hin zu Mutters Trabant sind es die Fahrzeuge, die seine Sicht von der Welt prägen. Kein Wunder, ist doch die größte Attraktion Ludwigsfeldes die Autobahn, die durch die Stadt führt.
"Trabanten" ist Falko Hennigs zweiter Roman. Bereits in seinem Debütroman "Alles nur geklaut" war Ludwigsfelde der Ausgangspunkt für eine Reise durch den Kindheitsalltag der DDR. Dieses Mal ist es nicht die kleptomane Veranlagung, die den Helden nach der Wende in die große weite Welt führt, sondern die Liebe zum Auto. Dennoch gibt es zahlreiche Berührungspunkte in beider Lebensgeschichte. So ist der Vater in beiden Fällen ein hartnäckiger Witzeerzähler. Leider werden diese Witze in den "Trabanten" tatsächlich erzählt. Man wünscht sich, der Rat aus "Alles nur Geklaut" wäre nicht beherzigt worden: "Wer Lachen ernten will, muss jeden Witz erzählen, sei er noch so schlecht". Die obligatorische Reise in den Süden darf natürlich nicht erst seit Ingo Schulze in keinem Nach-Wende-Roman fehlen, und so auch hier nicht. Der Reisebericht lässt allerdings schnell erkennen: Alles nur geklaut! Bis in kleine Details und der Wortwahl findet sich hier derselbe Bericht wie in Hennigs erstem Roman. Wieder geht es mit dem selbst umgebauten Trabi, der die Grenzbeamten bereits an der deutsch-tschechischen Grenze in Erstaunen versetzt, in Richtung Griechenland. Ein gefundenes Fressen für jeden Germanisten, da sich hier sehr schön nachvollziehen lässt, wie der Autor seinen Stoff weiter verformt.
Der Roman erzählt aber auch noch eine andere Geschichte als die vom autobessenen Helden, der schließlich als Taxifahrer das Leben im vereinten Berlin ausmisst. Denn Henry Täuflers Geburtsstadt Ludwigsfelde besitzt nicht irgendeine Autobahn, sondern mit der "Avus" die erste Autobahn der Welt und spannt somit den Bogen zum zweiten Helden des Romans. Wernher von Braun diente die Avus als Teststrecke für die während des zweiten Weltkriegs entwickelte "Wunderwaffe", die Rakete V2. Und so zeigt sich die Straße nicht nur als wichtiges Hilfsmittel für Autonarren, sondern auch als Projektionsfläche für Größenwahn, Machtphantasien und die ethischen Aspekte von Forschung und Wissenschaft. "Speers fünfter Ring", so lautete der ursprüngliche Arbeitstitel von Hennigs Roman in Anlehnung an die Großmachtsphantasien von Hitlers Generalbauinspektor Albert Speer, der mit fünf Autobahnringen die Grenzen Berlins als die gigantische Hauptstadt "Germania" festsetzen wollte. Eine fundiertere Auseinandersetzung mit dieser Kehrseite der Autobahn wäre wünschenswert gewesen. Die "Trabanten" bleiben leider über weite Strecken eine oberflächliche Einführung in die Geschichte des Ost-Autos.
Falko Hennig: Trabanten. Roman.
Piper Verlag, München 2002.
287 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN 349204381x
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