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Tag 13 - 26. August 2005 - Das Nordkap mit Nebenwirkungen

Um 7 Uhr ist die Nacht zu Ende, wir sind total aufgeregt, weil fast am Ziel. Es sind 19 Grad, total mild und leichter Wind. Wir bauen ab und frühstücken mit dem Fahrradfreak, der aber auch los muss. Ein kurzes Stück E6, dann auf die E69 zum Kap. Die Strecke am Porsangen entlang ist einfach traumhaft. Steile Steinstrände mit starker Brandung und Unmengen Treibholz. Dazu dieses Wetter und permanent Rentieralarm. Mit ihrer Tarnfarbe sieht man sie sehr spät und wir wollen nicht auf den letzten Metern Probleme bekommen. Um auf die Kapinsel Magerøya zu kommen, müssen wir durch den neuen Tunnel. Das macht dann 184 NOK Maut… Tja, also äh…mit soviel hatte ich nicht gerechnet und die nächste Bank, die wir ohnehin brauchen, ist in Honningsvag, quasi nach dem Tunnel. Wir fragen ihn, ob wir auf dem Rückweg zahlen können, er sieht da kein Problem. Glück gehabt! Honningsvag empfängt uns mit einer Industrieruine samt vergammelnder Öltanks und der „Maxim Gorki“ im Hafen. Eine Bank ist schnell gefunden, der Supermarkt auch. Frisch mit Lebensmitteln eingedeckt kommen zum Auto, wir haben einen schönen Aufkleber vom „Caravaningclub Nordkapp“ bekommen. Robbi’s Lieblingskekse haben wir auch dabei. Er vertritt die Auffassung, dass sie so schlecht sind, dass man von sehr wenigen einfach satt ist. Ich weiß nicht, was er will, die sind gut. Viel besser, als die BW-Hartkekse, die man in Verbindung mit Schuhcreme auch als Kohlenanzünder benutzen kann. Nun kann uns aber absolut nichts mehr aufhalten! Die letzten Kilometer sind ein einziges auf und ab mit beeindruckender Landschaft und verstreuten Rentieren abseits der Straße. Irgendwann sehen wir ein Ende am Horizont, da geht es nicht weiter. Nachdem wir den „Unkostenbeitrag“ bezahlt haben, dürfen wir das „Nordkapp-Areal“ befahren. Wir sind angekommen, ganz oben, nach 5086 Kilometern seit Eilenburg, um 11 Uhr 30!!! Weiter nach Norden geht es nicht mit dem Auto, wir müssen schon schwimmen, wenn wir noch weiter wollen. Wir sind richtig gut drauf und feiern über die ganze Zweiflerfraktion, die Womo-Fahrer am Saltstraumen haben wir noch im Hinterkopf. Es geht ja doch, wir waren sicher nicht die schnellsten, doch wir haben eine unvergessliche Strecke hinter uns. Es ist vielleicht nur ein Felsen, leicht überteuert, aber ich habe lange auf diesen Anblick gewartet. Wir stehen hier 2092 Kilometer vom Nordpol entfernt, selbst Murmansk ist weiter im Süden! Unser Wetterglück ist wieder unverschämt, Sonne und starker Wind. Kein Nebel oder Regen, was hier zu beinahe 90 % des Jahres so sein soll. In der „Nordkapp-Halle“ machen wir einen langen Rundgang, es ist nur sehr wenig Andrang, auch der riesige Parkplatz ist fast leer. Im Souvenirladen kaufen wir die obligatorischen Postkarten samt Briefmarken. Die Schreiberei artet in Arbeit aus, erst zu Hause fällt mir ein, dass ich einer Menge Leuten vergaß, zu schreiben. Am Briefkasten steht, dass garantiert ein „Nordkapp“-Stempel auf alle Sendungen kommt. Na hoffentlich! Draußen machen wir eine Menge Fotos, wir sind nicht jeden Tag hier. Die Barentssee liegt tiefblau unter uns, die „Maxim Gorki“ passiert etwas entfernt das Kap. Zu unserer Linken ist der Knivskjellodden zu sehen, der eigentlich nördlichste Punkt Europas, leider nur zu Fuß zu erreichen und etwa 1450 Meter nördlicher. Am Rand der Steilküste ist der Wind so stark, dass ich kein Stativ aufbauen kann, es entstehen leider nur Einzelbilder. Die Anzahl der Leute hat sich plötzlich verhundertfacht, das Durchschnittsalter auch. Die Erklärung liegt in den sechs Bussen vor der Halle. Wie ein Heuschreckenschwarm fallen sie über alles her, am verbitterten Blick erkennt man sofort die deutschen Rentner, die gut drei Viertel der Menge ausmachen. Mir kommt doch noch die verrückte Idee, ein Bild mit der Pappe vor dem Globus zu machen… Meine einzige Chance besteht darin, den süßen Engel an der Rezeption zu überreden. Aber erst müssen die Rentner weg! Mit meinem Siebentagebart wird das nicht leicht werden. Nach kurzem Gespräch bemerke ich, dass sie ihre Krallen ausfährt und mit diplomatischem „Nachdruck“ darauf hinweist, dass wir nur bis vor die Halle fahren dürfen. Wir sind wohl nicht die ersten Nachfrager gewesen… So machen wir noch Fotos vor der Halle, es besteht immer die Gefahr, dass jemand ins Bild rennt, der da nicht hingehört. Nur gut, die Busse sind weg, es klappt alles ohne Probleme. Punkt 15 Uhr brechen wir auf, schon jetzt etwas wehleidig, es geht nach Hause. Bei der ersten Gelegenheit stoppen wir zum Mittagessen, das heute viel zu spät serviert wird. Aber dieses „Opfer“ bringen wir gern für das Kap! Wir bekommen Besuch, ein thüringischer Einzelkämpfer auf seiner „Transalp“ stößt zu uns. Er reist ganz allein schon seit Wochen da oben rum und hat schon viel durch. Er hat einen Elch gesehen, aber eben lieber nicht. Es sei geradeso gut gegangen, wie er meint. Auf dem Rückweg zur E6 müssen wir wieder durch den Tunnel, Geld haben wir jetzt. Der Kassierer hatte Schichtwechsel und seine Ablösung uns vergessen. Wir „beschweren“ uns nicht, denn vielleicht kommt die Rechnung noch per Post? Wieder auf der Hauptstraße müssen wir tanken, sonst wird es knapp, die Reserve muss bald kommen. Die einzige Tankstelle hat geschlossen, der Automat nimmt meine Karte nicht!? Nach kurzer Rechnung wird klar, das wird knapp bis gar nichts! Im Notfall das Aggregat leer machen, das Übliche eben. Bis Lakselv muss es klappen, Bemme fährt auf Sparflamme, die Reserve kommt. Das klappt niemals! Wir wissen genau, dass wieder ein paar Liter drin bleiben, der Ofen aber trotzdem stehen bleibt. Bergauf stottert und bockt er schon rum, auf der Geraden geht’s, bergab rollt es von allein. Buchstäblich mit dem letzten Tropfen rollen wir in die Tankstelle, beim Abbiegen geht der Motor aus. Bockend und sprotzend rollt er bis zur Zapfsäule. Diese „gelungene“ Show ist niemandem entgangen, das Auto steht wieder im Mittelpunkt. Am Ortsrand liegt Banak, wo mein Großvater ebenfalls war. Wir finden zwar den Flugplatz, fotografieren aber vor lauter Militär vorsichtshalber nicht. Die weitere Strecke über Karasjok ist total einsam und verlassen, sie führt mitten durch einen großen Truppenübungsplatz. Es kommt absolut nichts, nur Wald, fast kein Auto. Hier beginnt schon der Herbst, die Blätter werden bunt. Hinter der heimlichen Hauptstadt der Samen finden wir einen schönen Biwakplatz mit einer kleinen Hütte samt Feuerstelle in deren Mitte. Wir brauchen kein Zelt, wunderbar! Wegen der kühlen Temperaturen mache ich ein Feuer. Nach 455 Kilometern geht der Tag vollkommen verräuchert zu Ende.

Tag 14 - 27. August 2005 – „Generalkurs Süd“

Während der Nacht ist starker Wind aufgekommen, allerdings mit milden Temperaturen. Die Handtücher, die ich zum Trocknen aufhängte, machen sich selbstständig, Staub wirbelt herum. Zur Feier des Tages kommt das Kaffeewasser vom offenen Feuer, der Topf ist kohlrabenschwarz danach und der Kaffee hat eine rauchige Note. Immerhin ist alles trocken geblieben, nur „leicht“ verräuchert. Fließend Wasser in Form eines Bachs haben wir auch, was will man mehr? Der weitere Weg nach Kautokeino, der größten norwegischen Samengemeinde und Zentrum dieser Kultur, führt wiederum mitten durch das Nichts. Wir haben seit Karasjok keine Tankstelle oder nennenswerte Siedlungen mehr gesehen, also seit 137 Kilometern. Diese Einsamkeit strahlt eine ganz eigene Atmosphäre aus. Allerorts sieht man diese fast hektische Betriebsamkeit der Bewohner, die Vorbereitungen auf den langen Winter. Derartig große Brennholzhaufen vor jedem Haus habe ich noch nie gesehen! Am Nordkap können die ersten Schneestürme samt Temperaturstürzen bereits Anfang September auftreten, auch zeitigere Ausnahmen wurden bereits beobachtet. Das Landesinnere ist geprägt durch kontinentales Klima, sprich große Temperaturdifferenzen zwischen Tag und Nacht. Wir wollen schnellstmöglich und direkt nach Süden durch, denn es kommt mir vor, als ob der Winter wie eine unheimliche und unsichtbare Erscheinung hinter uns her ist. Die Verkäuferin im einzig noch geöffneten Andenkenladen von Kautokeino bestätigt unsere Sicht der Dinge, die Anzeichen sind unübersehbar. Am 6. Februar 1998 fiel das Quecksilber auf eisige -55 °C! Auch heute wirkt der Ort wenig einladend, es ist fast bedeckt und ein kalter Wind fegt durch die Stadt. Von den 100.000 Rentieren, die hier gehalten werden, sehen wir kein einziges, auch von den 1500 Einwohnern ist fast niemand zu sehen. Wenige Kilometer später sind wir an der finnischen Grenze, die hier noch bewacht wird. Unsere Pässe will niemand sehen, nur das Auto wird mal wieder ungläubig gemustert. Über ein paar Nebenstraßen schlagen wir uns zur 78 durch, die parallel zur schwedischen Grenze in südlicher Richtung bis zur Ostsee führt. Noch vorher machen wir bei endlich wieder strahlendem Sonnenschein eine Mittagspause an einem der unzähligen Seen. Die 78 geht über ein paar Hügel ohne nennenswerte Kurven fast nur geradeaus, im Wald stehen vereinzelt Rentiere, vor denen per Schild gewarnt wird. Wenigstens können wir hier mit dem Euro bezahlen und sehen den Spritpreis direkt. Gegen 15 Uhr 30 kommen wir an den Polarkreis, den wir hier per Achse überschreiten. Auf dem Parkplatz symbolisiert ihn eine durchgezogene Linie, der Kiosk sieht verwaist aus und wir machen ein paar Fotos samt Kaffeepause. Kurz vor der schwedischen Grenze tanken wir nochmals alles voll, was geht, denn wir brauchen jeden Tropfen für den langen Weg. In Schweden lernen wir die E4 kennen, und hassen! Unmengen Verkehr schlängeln sich nach Süden, die Straße ist entsetzlich lang(weilig) und mit Blitzern übersät. Mein Bruder freut sich besonders über die unzähligen Kreisverkehre, die er schon in Norwegen „lieben“ lernte. In einem ruhigen Waldstück finden wir nach 634 Tageskilometern südlich Kalix einen Nachtplatz.

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