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Tag 9 - 22. August 2005 - Willkommen am Polarkreis

Der Tag beginnt sehr kühl, etwa 4 Grad, aber der Himmel ist fast wolkenlos und die Sonne bemüht sich. Selbst unser „Gute-Laune-Thermometer“, das fast immer 30 Grad anzeigt, ist auf unter 15 Grad gefallen! Also gebe ich mir Mühe, das Feuer wieder in Gang zu bringen, Bemme ist der Meinung, dass der Frost in ihn gekrochen ist und im Schlafsack mitfährt. Wie die anderen Tage auch, kommt er nach einer kleinen Ewigkeit maulend und „steif gefroren“ aus seinem Schlafsack gekrochen, mit der legendären Elastizität einer Brechstange. Die Flammen tauen ihn wieder auf, allerdings ist er nun der Meinung, dass der Wind den Rauch stets in seine Richtung pustet. Nach einer Weile glaube ich ihm sogar, aber wir riechen ohnehin schon wie Räucherware. Der erste Hinweis auf den Norden ist das Portal über der E6, dass den Eingang zu Nordnorwegen symbolisiert, die Grenze zwischen Nord Trondelag und dem Nordland. Nach Mosjøen verlassen wir die E6, nehmen die 78 als Verbindung zur 17, die ich als Küstenstraße schon ab Steinkjer nehmen wollte. Sie ist landschaftlicher schöner und weit weniger befahren, aber die Fähren kosten uns etwas Zeit, und leider auch Geld, was unser knappes Budget kaum hergibt. Die erste ungeplante Attraktion ist der Laksefossen, der ein Angelparadies sein soll, was ich auch gern glaube. Eine Weile später erreichen wir ebenso ungeplant das deutsche Küstenfort Grønsvik, dass wir natürlich erkunden. Bemme hat es wirklich geschafft, bei dem Lärm und „Komfort“ währen der Fahrt zu einzuschlafen!? Mit einer unglaublich miesen Laune wird er brabbelig munter und latscht die ersten Meter wie Falschgeld hinterher. Wir sind die einzigen Gäste und bezahlen an der Kasse des Vertrauens. Bunkeranlagen und auch Geschützstellungen sind zugänglich und sehr gut erhalten. Die Tafeln erklären informativ und weisen uns den Weg.  Bei milden Temperaturen und Sonne erreichen wir Levang, wo wir auf die Fähre nach Nesna über den Rana warten müssen. Da die verbleibende Zeit es hergibt und wir ohnehin „erzkonservativ“ um Punkt 12 Uhr zu Speisen gedenken, kämpfe ich mal wieder mit dem Büchsenöffner. Hinter uns steht ein LKW, mit dessen Fahrer wir ins Gespräch kommen, das Auto fällt auf. Wir sprechen ihn auf die Leistung der LKW an, die scheinbar jeden Berg ohne Problem hochziehen. Er lächelte nur und meinte, dass sein alter Scania auch über 700 PS hat und er diese Leistung niemals missen möchte. Ohne aufkommende Hektik schaffen wir auch das und fahren auf die Fähre. Hier „oben“ dürfen wir während der Passage nicht mehr auf dem Fährdeck bleiben und müssen in den Aufenthaltsraum. Wir folgen der 17 bis Kilboghamn, entlang dem Wasser durch Tunnel und unzähligen Kurven. Der Scania ist trotz voller Beladung eine ganze Weile eher dort und der Fahrer wartet lächelnd. Wieder müssen wir warten, das Wetter zieht sich zu. Mit uns fährt ein schwarzer Ford-Van auf die Fähre, seine Maschine klingt, wie ein paar Stiefel in der Waschmaschine, allerdings rauchen seine Bremsen. Er lächelte nur und meinte, er sei „etwas“ schneller unterwegs gewesen, um die Fähre noch rechtzeitig zu bekommen. Danach folgte noch Fachsimpelei zum Thema Auto. Er interessierte sich für unseren Hubraum, er erwiderte lächelnd 7,9 Liter. Wir machen ihm klar, dass wohl schon sein Scheibenwischermotor mehr Hubraum hat, als wir. Während der Passage nach Jektvik überqueren wir den Polarkreis, allerdings „schwimmend“. Am Ufer hat man eine Miniatur des Denkmals aufgestellt, dass wir am Nordkap noch zu Gesicht bekommen sollten. Die Einheimischen interessieren sich nicht dafür, nur die Touristen knipsen wie die Wilden, so auch wir. Mit der sich senkenden Wolkendecke und den schroffen Berggipfeln hat man das Gefühl, an das Ende der Welt gekommen zu sein. Es ist so, wie ich es mir als Kind vorgestellt hatte. Diese gedachte Linie ist mehr eine magische Grenze, doch es sollte danach weiter gehen. Sehr weit noch! Der Regen beginnt, die Temperatur fällt, Wind kommt auf, alles in allem sehr ungemütlich. Willkommen am Polarkreis! Mir fällt wieder ein, was Mette mir südlich Trondheim sagte. Sie hat eine Freundin im Norden, die ihr am Telefon sagte, dass kurzzeitig schon Schnee fiel. Mit unserer Bodenfreiheit und den Sommerreifen ist die Fahrt dann zu Ende! Mein Bruder meinte schon herumulkend, dass er in dem Falle mit der Pappe hier oben überwintert, schließlich könne er sie ja nicht allein lassen. Ganz soweit sollte es jedoch nicht kommen, im strömenden Regen fahren wir von der Fähre. Auf der Schräge haben wir „Traktionsprobleme“, der nasse Stahl ist wie Schmierseife. Bemme schiebt das erwartungsgemäß auf die „brachiale“ (?) Antriebsleistung, aber wir sind kein Einzelfall. Die 25 Kilometer zur nächsten Fähre nehmen wir „persönlich“, denn hinter uns rümpfte ein „Altbundesbürger“ bereits die Nase, ihm passte unsere Anwesenheit offensichtlich überhaupt nicht. Das kann durchaus daran liegen, dass das umgedreht am Draht aufgehängte VW-Zeichen an unserem Heck zuweilen auf der Straße schleift und er eines am Kühlergrill hat. Die engen kurvenreichen Straßen sind wie geschaffen für uns, um die übersichtlichen Kurven drifte ich gern herum, das gutmütige Fahrwerk erlaubt und verkraftet es auch. Wir sind vor ihm an der nächsten Fähre und nur das zählt! Die nächste Passage ist unspektakulär und kurz, wir suchen nach einem Biwakplatz, noch immer schüttet es aus Kannen. Ein mir wichtiges Highlight ist zweifellos der Svartisen-Gletscher kurz oberhalb des Polarkreises, doch er ist fast komplett vernebelt, beschert uns aber doch ein fast mystisch wirkendes Foto. Als wir einen geeigneten Nachtplatz fanden, war kein Ende des Regens in Sicht. Wir essen im Auto und warten auf besseres Wetter. Die Stimmung ist am Boden, die Warterei nervt zusätzlich. Irgendwann kurz später habe ich genug, wir bauen in Bestzeit das Zelt auf und schmeißen die noch klammen Schlafsäcke hinein. Eine weise Entscheidung, es hat bis zum Morgen durchgeregnet. Nach genau 400 Kilometern geht auch dieser Tag, für meine Begriffe etwas zu feucht, zu Ende.

Tag 10 - 23. August 2005 - Bodø und andere Zwischenfälle

Der Morgen begann schon gut, es rauschte nur so herab, wie die ganze Nacht auch. Ich bin zwar munter, aber es fehlt wirklich jeder Antrieb, um auf die Beine zu kommen. Der Verstand sagt, warte bis es aufhört, das Gefühl sagt, es wird nicht besser. Also nach einigen Minuten „Alarmstart“, es muss alles sehr schnell gehen, sonst bringen wir noch mehr Feuchtigkeit ins Auto und bekommen die klammen Sachen niemals trocken. Die Stimmungslage zu erwähnen, erübrigt sich wirklich, und Robbi hat eine Laune… Verständlich! Der Abbau geht fix, alles in die Karre geschmissen und klatschnass freue ich mich auf die warme Luft aus der Heizung. Fehlanzeige, wir sind gestern Abend auf Reserve angekommen und irgendwie haben wir aus Regengründen den Kanister nicht nachgefüllt. Nach einer kurzen „Ausrastung“ beiderseits fangen wir uns wieder und schütten die 20 Liter nach. Das hat natürlich eine scheinbare Ewigkeit gedauert, aber der Sprit ist drin! Die Devise heißt, erstmal fahren, weg hier und den Motor heizen lassen! Nach wenigen Minuten haben wir Saunaverhältnisse im Auto, wirklich alles läuft an. Die ersten Kilometer bestehen aus Wischen, Fahren und Fluchen… Wie scheinbar immer, so haben wir auch heute Wetterglück. Am Horizont taucht ein blauer Streifen auf, und zwar im Norden! Die erste Attraktion heute ist der Saltstraumen, der norwegische Mahlstrom und die stärkste bekannte Gezeitenströmung der Erde. Kurz vorher hört der Regen auf, nur riesige Pfützen sind auf der Straße. Von der kühnen Brücke bemerken wir unser absolut unverschämtes Glück, wir sehen die Strudel! Es ist gerade Ebbe, das Wasser schießt aus dem Fjord und wird durch die Meeresenge gepresst. Wie wir wenig später sehen, ist das auch noch die Zeit der stärksten Strömung. Das Schauspiel ist gigantisch, von der Brücke gesehen wie auch vom Ufer aus. Es rauschen innerhalb etwa 6 Stunden rund 400 Millionen Kubikmeter Wasser durch die 3 Kilometer lange und 150 Meter breite Meerenge. Dabei werden Strömungsgeschwindigkeiten von bis zu 20 Knoten erreicht, das sind etwa 37 Kilometer pro Stunde, die whirlpoolartigen Strudel haben Durchmesser von ca. 10 Metern. Man kann hier viel schreiben, aber das Erlebnis ersetzt es in keinem Falle. Das Wasser ist stahlblau und glasklar, das Rauschen lässt die Naturgewalten allenfalls erahnen. Es fällt schwer, sich von dieser Attraktion zu trennen, doch die nächste wartet schon auf uns. Bodø mit seinem Flugzeugmuseum steht noch auf dem Programm. Auf dem Parkplatz müssen wir noch ein paar überfreundliche „Altbundesbürger“, die uns neben ihren Wohnmobilen stehend die wildesten Ratschläge geben, fast schon abwimmeln. Ich hatte mehr das Gefühl, entmündigt zu werden, wenn wir nicht augenblicklich aufbrechen… Was denken die wohl, wie wir bis hierhin gekommen sind? Vermutlich per Luftpost oder ähnlichem… Die letzten Kilometer bis zur Stadt fahren wir im strahlenden Sonnenschein entlang der Schienen der norwegischen Nordlandbahn, die hier endet. Das Museum liegt am östlichen Stadtrand und ist leicht zu finden, denn es ist direkt neben dem Regionalflughafen. Auf dem Parkplatz stehlen wir den Freiluftexponaten fast die Show. Im Inneren steht die momentan einzige noch erhaltene schwimmfähige Junkers Ju 52 im flugfähigen Zustand, die als norwegisches Verkehrsflugzeug noch lange nach dem Krieg im Einsatz war. Sehr interessant ist natürlich die Ausstellung zur deutschen Luftwaffe im 2. Weltkrieg. Mitten in der ersten Halle hören wir ein sonderbares Signal, die Brandmeldeanlage!? Wir werden evakuiert, doch nach einer Weile stellt sich alles als Fehlalarm heraus. Das Wrack einer Heinkel He 111 ist zu sehen, zahlreiche Flugzeugmotoren, Ausrüstungsgegenstände und Ersatzteile. Doch auch die anderen Abteilungen sind sehr informativ, NATO-Flugzeuge werden ebenso gezeigt wie auch eine große Halle zum Thema Verkehrsflugzeugwesen. Wir sind etwa 4 Stunden durch die Ausstellung gelaufen, und hätten auch noch 4 weitere gebraucht, doch irgendwann werden die Beine schwer und die Ohren welk, denn das Mittagessen ist längst überfällig.  Wir tanken noch schnell und dann schnell raus aus der Stadt, ein Mittagsplätzchen gilt es zu finden. In der warmen Sonne trocknen wir alles so gut es eben geht, bevor wir weiter Richtung Norden fahren. In Fauske kommen wir wieder auf die E6, die genau dort ihre Mitte hat. Von hier sind es je genau 1336 Kilometer bis Svinesund im Süden oder Kirkenes im Nordosten. Die Entfernungen sprechen ihre eigene Sprache, im Süden ist uns das nicht so bewusst geworden, hier schon. Wir wollen bis nördlich der nächsten Fähre kommen, was eigentlich kein Problem darstellt. Aber eben nur eigentlich! Etwa 80 Kilometer davor kämpfen wir uns einen langen Anstieg hoch, als wir bei Gegenverkehr überholt werden. Der Volvo mit Anhänger sieht wohl nur den LKW kommen und zieht einen Meter zu früh rein. Der Hänger „trifft“ uns vorn links und schiebt uns fast in die Leitplanke. Bemme, der fährt, dreht total ab und will anhalten. Der Volvo hat das nicht gemerkt und fährt weiter, sein Kennzeichen hatte ich so schnell nicht mitbekommen. Da wir nichts verloren haben und auch die Lenkung OK zu sein scheint, heizen wir ihm hinterher. Eine Chance haben wir nicht, also nutzen wir sie! Im dümmsten Falle baue ich auf die Kameras, die zuweilen an den Tunnelportalen hängen, die Zeit haben wir ja aufgeschrieben und wissen Farbe samt Typ. Und demnächst kommt eine Fähre, da kriegen wir ihn! Für den Fahrer hoffe ich ja, dass wir ihn nicht einholen, mein Bruder plant die allerschlimmsten Sachen mit ihm, hat er doch sein bestes Stück auf dem Gewissen. An der Fähre steht er vor uns, ich sprinte mit der Kamera vor, filme die Kennzeichen und die grünen Farbreste am Anhänger. Der Fahrer ist freundlich, sieht es auch gleich ein. Mitten im Papierkrieg setzt leichter Regen ein, aber es geht alles gut. Obwohl die Pappe nur wenig Schaden nahm, ist Bemme am Ende. Jetzt fällt die ganze Anspannung ab, wir hätten auch in der Leitplanke enden können. Die Fähre bringt uns wohlbehalten auf die andere Seite, wo wir kurz darauf einen recht guten Biwakplatz fanden. Trotz aller Trocknung sind die Schlafsäcke sehr feucht, die Isomatten ebenso. Nach 337 Kilometern geht auch dieser Tag mit einem milden Abend und leichtem Wind zu Ende.

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