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Tag 5 - 18. August 2005 - Noch mehr Berge und Bastelstunde

Der Donnerstag fängt gut an, der Motorkontrollblick ergibt einen fehlenden Krümmerbolzen. Der andere hält zwar, aber wir haben keinen Ersatz dabei. Das erklärt dann auch das gestrige Poltern unter dem Auto! Vorsichtshalber ziehen wir den noch vorhandenen Bolzen nach, das Gussteil verzeiht keine Fehler und wir wollen vermeiden, dass der Auspuff auf der Straße liegt. Mit einem weiteren „Anziehstop“ fahren wir bis Aurland, suchen da eine Werkstatt auf. Der Mechaniker meint nur: „Lifting is impossible!“ Wir wollen doch nur einen Bolzen samt Mutter und Unterlegscheibe, keine Hebebühne!? Zehn Minuten später ist wieder alles im grünen Bereich, der Krümmer hält den Vorschaller mit zwei Bolzen. Die nächste Attraktion wird der Aurlandsveien sein, der Aurlandsweg führt oberhalb des neuen Tunnels, der mit einer Länge von 24,5 Kilometern der derzeit längste Straßentunnel der Welt ist, über ein wunderschönes Fjell mit Seen und Hochgebirgsvegetation. Mir gefällt überaus gut, dass die Norweger so praktisch denkende Menschen sind. Sie bauen Straßen beinahe kompromisslos, was sich in Gefälle bzw. Steigung und Kurvenradius in Verbindung mit Straßenbreite äußert. Die Steigungen meistern wir teilweise nur im ersten Gang, sind aber nicht wesentlich langsamer, als die anderen Autos auch. Wir müssen zuweilen nach dem „Schwungradprinzip“ fahren, das heißt, soviel wie möglich Geschwindigkeit aus den Geraden mitnehmen und niemals vom Gas gehen. Im Klartext: Drehzahl ist nur mit Drehzahl zu ersetzen! Unsere Wendigkeit und geringe Breite sind wahrlich von Vorteil, die Straßen sind anspruchsvoll, von sehr gutem Zustand und bereiten Fahrspaß pur. Ich frage mich nur, wie sie das hinbekommen, liegt doch teilweise mehr als sechs Monate im Jahr alles unter Schnee begraben. Nach unserem Möchtegernwinter sind viele Strassen in erschreckendem Zustand. Wir schlängeln uns durch das stille Hochland und genießen die Landschaft, die phantastische Aussichten eröffnet. Auf der Abfahrt meldet sich die Bremse zurück. Sie kommuniziert im digitalen Zeitalter allerdings mit deutlich blauen Rauchzeichen!? Von Fading keine Spur, doch sind die Beläge der Vorderachse am Ende. Wir helfen mit der Handbremse und suchen eine Möglichkeit für eine Abkühlpause. Als wir eine Einbuchtung finden, sprinte ich los, um einen Stein zu suchen. Der kommt vor ein Rad, damit die Handbremse die heißen Trommeln nicht verzieht. Die Methode hat sich sehr gut bewährt und ich will verhindern, dass beim Bremsen die dritten Zähne aus dem Gesicht fallen. Die Zeit ist reif für das Mittagessen, es stehen zwei „leckere“ Büchsen auf dem Programm, das Auto muss leichter werden. Noch bevor sich der kleine Gaskocher bewähren kann, kämpfe ich mit dem Büchsenöffner. Ich überlege, was meine Nerven mehr strapaziert. Dieses Ding oder das bei bestimmter Drehzahl klappernde Armaturenblech? Noch habe ich ein paar Tausend Kilometer Zeit, die Antwort zu finden. Im Tal angekommen, machen wir einen kleinen obligatorischen Abstecher zur berühmten Stabkirche von Borgund. Sie nicht zu besuchen, wäre unverzeihlich. Ihr Zustand ist trotz des Alters von etwa 800 Jahren erstaunlich, eine Holzhandwerkskunst, die ihres Gleichen sucht. Der weitere Weg, der in meiner Karte als kleine Straße bezeichnet wird, entpuppt sich als Fjellweg Ardal - Luster und ist mautpflichtig, doch das ist er in jedem Falle wert. Mit Erstaunen nehme ich das Maximallängenschild von 8 Metern zur Kenntnis. Wenige Kurven später weiß ich die Antwort, denn wir schaffen es bei vollem Lenkeinschlag teilweise nicht, die Spitzkehren zu schneiden. Für ungeübte Wohnmobilpiloten ist die Fahrt dort zu Ende! Glücklicherweise ist hier kaum Verkehr, das Terrain gehört fast komplett den Schafen, die hier wie überall mit wenig Respekt gegenüber dem Verkehr mitten auf der Strasse herum stehen oder auch liegen. Interessant sind diese Kontakte der dritten Art besonders im unbeleuchteten Tunnel!!!

Zufälligerweise blödeln wir noch herum, dass man hier doch mal mit einem LO 3000 - Bus entlang fahren müsste, schon wegen der Spritpreise, eine Überraschung sollte wenig später noch folgen. Das Bremsproblem auf der Abfahrt muss ich nicht mehr erwähnen, die Hitze hat die Belagstruktur so verändert, dass die Wirkung weich reibend einsetzt. Das kennen wir doch irgendwoher? Das Gefälle ist nicht sonderlich lang, auf der anderen Seite wartet das Sognefjellet, das Dach Norwegens und zugleich größtes und beliebtestes Hochgebirgswandergebiet des Landes. Bei bester Sicht auf der riesigen Hochfläche werden wir von gletscherbedeckten Bergen eingerahmt. Gleich nach dem ersten Fotostopp trauen wir unseren Augen kaum. Da steht doch wirklich ein LO 3000 - Bus mit Bornaer Kennzeichen! Er gehörte zu einer evangelischen Jugendgruppe, die in der Region wandern war. Die Stimmung ist super, denn auch sie sind überrascht. Ich habe den Fahrer, der solche Straßen mit dem Bus vorher nie befuhr, vorsichtig gewarnt, was die Bremsen angeht. Er hat wenigstens eine Motorbremse, dafür auch Verantwortung für 16 Kinder. Am nächsten Panoramablick treffen wir eine Familie aus Zittau und kommen in ein längeres Gespräch. Das passiert uns mit vielen Nationalitäten bei Stopps aller Art fast immer. Auf der Abfahrt haucht die Bremse komplett aus, bis Lom ist es nicht mehr weit. An einer großen Statoil-Station tanken wir und wollen die Werkstatt „okkupieren“. Die schauen komplett erschreckt und machen mir klar, dass sie uns kaum helfen können, die Werkstatt ist belegt. Damit haben wir gerechnet, aber die Druckluft reicht bis in die Waschstraße und wir bekommen einen Schlagschrauber.

Der Wechsel geht fix, die alten Beläge sind komplett verschlissen, der Trägerstahl ist sichtbar. Die Nachwendebeläge haben die Hitzeresistenz einer Scheibe Knäckebrot und sind vielmehr fahrlässige Tötung, als Bremsenteile! Als „Bezahlung“ gebe ich dem Mechaniker eine Flasche „Goldkrone“, was bei den dortigen Alkoholpreisen jede Tür öffnet. Das komplette Tankstellenteam hat sich gefreut und wir bekommen den Hochdruckreiniger für eine Komplettwäsche. Da ich nicht ewig auf meinen Bruder warten möchte, der eine Waschorgie ohnegleichen startet und anschließend noch das komplette Auto abledert, wechsle ich einem Norweger die Räder per Schlagschrauber. Ich möchte nicht aus der Übung kommen! Die Reifen sind derartig fertig, dass ich mir fast die Hand an den herausragenden Stahldrähten aufgeschnitten habe. Der Anblick des ganzen Autos hätte jeden deutschen TÜV-Prüfer augenblicklich ins Nirvana katapultiert! Der Fahrer war total cool und meinte, dass diese „Leiche“ noch ein Jahr rollen muss, dann wird er als „Neuwagen“ im Ostblock verkauft. Ich lass mir die Karte der Station geben, um ein Nordkap-Foto senden. Mit den letzten Sonnenstrahlen fotografieren wir die Stabkirche des Ortes und suchen einen Nachtplatz. Als wir nach 402 Tageskilometern im Ottadalen fündig werden, ist es fast dunkel.

Tag 6 - 19. August 2005 - Fjorde und Aussicht satt

Als wir am frühen Morgen aufwachen, stelle ich fest, dass ich in der Vorabenddunkelheit das „Zelten verboten!“-Schild übersehen habe. Nach dem anschließenden Alarmstart frühstücken wir an einem einsamen Bergsee. Es ist wirklich frisch um diese frühe Stunde und die Nebel an den Berghängen veränderten ständig ihre Form. Die Anfahrt zum Strynefjell folgt anschließend, eine geschotterte alte Route mitten durch ein ursprüngliches Hochtal, die immerhin nicht empfehlenswert für Wohnmobile und Caravans ist. Erstaunlich! Bei meiner Vorabrecherche stieß ich auf den Hinweis, dass neben der Straße die Reste einer alten Steinhütte stehen, in der der Sage zufolge einer der alten Könige, Harald Schönhaar oder Olav der Heilige, übernachtet haben sollen. In der Nähe davon soll das Wrack einer  Heinkel He 111 liegen, die im April 1940 nach Beschuss dort notlanden musste. Trotz intensiver Suche haben wir beides nicht gefunden, auch die gewohnte Sehenswürdigkeitenbeschilderung half nicht weiter. Noch vor der Scheitelhöhe kommt es fast zum Zusammenstoß, denn ein entgegenkommender Landsmann hat eine unübersichtliche Kurve geschnitten, was weniger ratsam ist. Auf der Scheitelhöhe machen wir eine Pause, genießen die Landschaft und beobachten nur wenige Meter entfernte Hirsche. Selbst in dieser verlassenen Gegend steht ein einsames Haus und der kleine See hat seinen eigenen Bootsteg. Die Abfahrt ist unproblematisch, weil asphaltiert. Es folgt der Anstieg zum Dalsnibba, mautpflichtig, aufregend steil und eschottert. Im ersten Gang kommen wir auch da hoch und werden oben mit Fragen gelöchert. Der Ausblick auf den Geirangerfjord, aber auch die serpentinenübersäte Abfahrt, ist einfach atemberaubend. Allerdings ist es ungemütlich kalt und windig. Wir sind 1500 Meter ü. NN und müssen in 15 Kilometern diesen Niveauunterschied meistern, also 10 % Gefälle im Schnitt. Die neuen Beläge bewähren sich sehr gut, obwohl sie mein Bruder als Hochwasserüberbleibsel im Garagenkomplex fand. Dennoch machen wir eine Kühlpause, nutzen diese auch zum Mittagessen, Schlafsäcke trocknen und rasieren am Bach. Der nächste Panoramablick eröffnet sich am Fydalsjuvet, noch oberhalb Geiranger. Die zwei Kreuzfahrtschiffe haben ihre Passagiere ausgebootet, deren Busse versperren fast die komplette Sicht. Wieder werden wir mit Fragen aller Art gelöchert und müssen lange warten, bis wir ein Foto mit Trabbi und Fjord ohne dutzende Touris bekommen. Auf der kleinen Aussichtskanzel treffen wir Margaret aus Danzig. Sie arbeitet auf der „Saga Ruby“ und startete die Reise ein paar Wochen vorher in Warnemünde. Hinter Geiranger steigt die Straße zum „Adlerweg“ steil an und eröffnet die Sicht zu den berühmten Wasserfällen und letzte Blicke auf Ort und Dalsnibba, der aus dieser Perspektive an einen Zuckerhut erinnert. Wir arbeiten uns die Straße hoch in Richtung Trollstigen und müssen vorher auf die Reserve gehen. Natürlich ist das wieder etwas problembehaftet, wir bekommen den Tank nicht komplett leer. Derartige Sorgen hatten wir noch nie und ich weiß nicht, woran es liegt. Aber noch rollt er ja! Der Trollstigen macht seinem Namen alle Ehre, toller Ausblick bis ins Romsdal hinein, die Hexenzinnen, Trolltindene genannt, zu unserer Linken. So kämpfen wir uns zu Fuß durch die Souvenirshops und fotografieren viele unterschiedliche Trolle. Die sind so hässlich, dass sie schon fast wieder süß sind! Ein Highlight ist der Tiefblick direkt über dem Wasserfall Stigfoss hinunter zur meisterhaft angelegten Bergstraße. Trotz der 12 % Gefälle haben wir keine Probleme. In Bedrängnis kommen wir nur, wenn vor uns ein Wohnmobil ist, das per Motorbremse sehr langsam hinunter schleicht. Das mag unsere Bremse nicht sonderlich! Im Tal rasten wir nochmals und holen vorsichtshalber den Sprit aus dem „Kraftwürfel“. Es ist peinlich, wegen Benzinmangel liegen zu bleiben, obwohl noch 4 Liter im Tank sind! Bis Andalsnes kommen wir ohne Probleme, sodass die Aktion umsonst war. Auf einer Halbinsel bei Eid verbringen wir die Nacht. Als ob wir nicht schon genug Radau um uns haben, laden wir mit dem „Kraftwürfel“ Kameras und Telefon. Dummerweise beginnt wenig später Regen! Mit 444 Tageskilometern sind wir gut vorangekommen.

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