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Tag 3 - 16. August 2005 -  Nordsee, Stadt und Berge

Der Dienstag beginnt mit bedecktem Himmel und kühlen Temperaturen. Am Ende des kleinen Hafenbeckens habe ich am Vorabend eine Toilette und Wasser zum Waschen entdeckt. Der heiße Kaffee aus der Blechtasse weckt die Lebensgeister, die letzten belegten Brote gehen zur Neige. Unser erklärtes „Tagesziel“ bedeutet das unumschränkte Aufessen aller Vorräte, natürlich aufgeteilt in Tagesrationen, denn das Auto ist zu schwer. Es ist übrigens die einzige Möglichkeit der Gewichtsverringerung, alles Andere ist komplett unverzichtbar. Am Wasserschlauch muss ich meinen Bruder davon abhalten, sein geliebtes Auto zu waschen. Erstens muss das nicht unbedingt in der freien Natur sein und zweitens haben wir nicht einen halben Tag Zeit dafür, denn er ist da Perfektionist ohne Ende. Die verendeten Insekten an der Vorderseite und den Staub am Heck entfernen wir selbstredend. Der weitere Weg führt uns wieder zurück über den Lachsbach, durch das Holzhausstädtchen entlang der Nordseestraße nach Stavanger. Dieser Teil des Landes erinnert mich eher an Holland, als an das Land der spitzen schneebedeckten Berge. Grüne Wiesen mit gelangweilt wiederkäuenden Kühen, Bauernhöfe, komplett flache Landschaft mit Hügeln in der Ferne und Seitenwind ohne Ende. Von der Nordsee sehen wir nur wenig. Der Stadtring von Stavanger ist mautpflichtig, also bezahlen wir die 12 Kronen. Ein paar Kilometer später kommt die nächste Station, eine Frau gibt mir im gebrochenen Englisch den Hinweis, dass, wenn wir schon bezahlt haben, nicht wieder bezahlen müssen. Wir heizen also durch und siehe da, eine rote Ampel leuchtet auf. Na Bingo, die Kamera obendrauf kann das kaum übersehen haben! Ein wenig später kommt die nächste Station und wir bezahlen vorsichtshalber. Endlich im Zentrum angekommen nehmen wir das Parkhaus, wissen aber auch, dass wir das Auto stehen lassen müssen, wenn wir keine Bank finden, in der wir tauschen können. Wir bummeln durch die Altstadt, am Hafen entlang und sind auf der Suche nach der Bronzestatue des dort geborenen Dichters Alexander Kielland. Laut Reiseführer wissen wir, wo sie steht, sind aber wenige Meter daran vorbeigegangen, da wir sie übersehen haben. Im zweiten Anlauf finden wir sie und machen ein paar Erinnerungsfotos. Es ist ein sonderbares Gefühl, genau aus derselben Perspektive zu fotografieren, wie es 65 Jahre zuvor geschah, denn dieses Bild ist im besagten Buch zu finden. Unweit der Statue steht der Dom zu Stavanger, der neben dem Nidarosdom zu Trondheim als das bedeutendste mittelalterliche Sakralbauwerk Norwegens gilt. In den unzähligen Souvenirläden finden wir auch prompt die ersten Trolle, die mir sofort gefallen. Allerdings haben sie auch eine stolze Preislage… Stavanger ist die Ölhauptstadt des Landes, im Zentrum ist davon nichts zu spüren. Die Werften der Region bauen und reparieren Bohrplattformen, die meisten liegen vor der Stadt und sind aus unserer Perspektive nicht zu sehen. Es dauert eine Weile, bis wir endlich eine Bank finden. Der Automat will mal wieder meine Karte nicht, also müssen wir zum Schalter. Der Kurs ist wahrlich nicht prickelnd und die aufgeschlagene Umtauschgebühr auch nicht unbedingt günstig, aber wir brauchen nun mal Kronen. Nachdem wir die Pappe „ausgelöst“ haben, verlassen wir die Stadt auf einer autobahnähnlichen Schnellstraße. Nur weg da, der Verkehr ist wie bei uns! Glücklicherweise wechseln wir zu Gunsten einer schönen Nebenstraße zur ersten Inlandsfähre. Die Passage über den türkisblauen, mit hohen Bergen eingerahmten Lysefjord ist kurz, aber sehr sehenswert. Nach ein paar Kilometern auf der anderen Seite mit unzähligen Kurven erreichen wir den Parkplatz zum Preikestolen, einer kleinen Aussichtskanzel gut 600 m senkrecht über dem Fjord. Der zweistündige steile Aufstieg über Stock und Stein war anstrengend ohne Frage, doch die Aussicht entschädigte wirklich für alles. Immerhin blieben wir unter der Zeitvorgabe, aber mein Bruder mag nun mal keine Berge, auf die weder Rolltreppe noch Fahrstuhl führen. Oben angekommen besänftigt ihn die Natur wieder. Um noch bessere Fotos zu bekommen, steige ich noch über die Kanzel hinaus, was ich nicht bereut habe. Kurz vor dem Abstieg muss ich noch ein Foto von mir haben. Sitzend am Abgrund, die Beine hängen herunter. Ich bin ja nicht jeden Tag dort! Das trauen sich wohl die Wenigsten, von denen, die wir dort treffen, anscheinend nur ich. Der Abstieg ist ebenso anspruchsvoll, da der Pfad stellenweise glitschig war und loses Geröll überall zu finden ist. Kurz vor dem Parkplatz kommen uns zwei japanische Pärchen entgegen. Wie die beiden Frauen mit den hohen Schuhen bis dahin gekommen waren, ist ein Wunder schlechthin, nur wissen die wohl kaum, was sie noch erwartet. Direkt am Parkplatz brechen noch vier Deutsche auf, sie haben an der Tafel wohl nur die Angabe 3,6 Lilometer gelesen, der Höhenunterschied beträgt etwas über 300 Meter und die Gehzeit von zwei Stunden ist ganz klein geschrieben. Sie sind mit Sicherheit nicht vor der Dunkelheit zurück gewesen. Wenige Kilometer weiter Biwaken wir an einem kleinen See, Preimsvatnet mit Namen. Meinem Bruder geht es nicht so gut, der Aufstieg war etwas zuviel, ihm ist kalt und schlecht. Ich suche Holz zusammen, um ein Feuer zu machen. Man muss nur wenige Meter in den Wald gehen, um diese fast unheimliche Atmosphäre zu spüren. Er ist wesentlich dichter als bei uns, mit bemoosten Steinen übersät und sehr dunkel. Es ist aus meiner Sicht kaum verwunderlich, dass gerade hier so viele Sagenwesen entstanden sind. Ich glaube, ich hätte mich nicht gewundert, wenn mir ein Troll begegnet wäre. Als ich dann endlich das nasse Holz zum brennen überredet habe, ging es Robbi auch wieder besser. So nutze ich noch das letzte Tageslicht, um mich im See zu erfrischen, das kalte Wasser weckt alle Lebensgeister. Mit abwechslungsreichen 213 Kilometern geht der Tag zu Ende.

Tag 4 - 17. August 2005 - Fjorde und Wasserfälle

Kurz nach 7 Uhr stehen wir auf, ich koche Kaffeewasser und bringe das Feuer wieder in Gang. Nach dem Frühstück geht Bemme baden, ich baue das Zelt ab. Gegen 9 Uhr verlassen wir den schönen Biwakplatz in Richtung Tyssedal. An der Fähre über den Josefjorden müssen wir warten, das Wetter verschlechtert sich. Als ich von meinem kurzen Erkundungsgang zurückkomme, traue ich meinen Augen kaum. Da steht mein Bruder und labert mit einer jungen Frau? Man kann ihn auch keine fünf Minuten aus den Augen lassen! Sie spricht zu gut deutsch für eine Norwegerin, hat brandenburgischen Akzent. Die Arbeitsmarktlage hat sie vor einigen Jahren nach Norwegen verschlagen, hier verkauft sie in einem Laden an der Fähre und ist sehr glücklich damit. Als die Fähre in Sicht kommt, müssen wir los. Wir haben Silvana aber versprechen müssen, ihr ein Foto vom Nordkap und der Pappe per Mail zu senden. Kurz nach der Fähre beginnt Regen, am Horizont ist allerdings beruhigend blauer Himmel zu sehen. Wenig später filme ich aus dem fahrenden Auto, als es kurz nacheinander zwei Mal poltert. Der Kontrollblick in den Rückspiegel ist „ohne Befund“. Also geht es weiter, erst am nächsten Tag werden wir die Bescherung bemerken! Am Zwillingswasserfall Latefossen hört der Regen glücklicherweise wieder auf. Den ganzen Fall mit der Straßenbrücke im Vordergrund kann ich nicht einfangen. Dazu müsste ich durch den Fluss waten, was ich mir bei der Strömung mitsamt der Kamera nicht zutraue. Einige gute Schnappschüsse können wir dennoch mitnehmen. In Tyssedal haben wir das Norwegische Wasserkraft- und Industriemuseum besucht, ein sehr lohnenswertes Ziel. Untergebracht ist es in einem der ältesten europäischen Hochdruckwasserkraftwerke, einem wunderschönen Industriegebäude direkt am Ufer des Sørfjords, das mit den 15 Peltonturbinensätzen aufgestellt in einer Reihe die stolze Länge von 156 Metern hat. Hier fallen bis zu 25 Kubikmeter Wasser aus einer Höhe von 400 Metern auf die Turbinenschaufeln und hätten, rein rechnerisch bei einem Gesamtwirkungsgrad von 0,8, über 78 Megawatt erbringen können. Der Maschinen- und Rohrleitungsbau stammt aus deutschsprachigen Landen, die zur Bauzeit weltweit führend waren. Die Museumsführung, die leider nicht sehr technisch begabt war, erklärt uns, dass das neue Kraftwerk im Inneren des Berges ist und aus nur einer einzigen Francis-Spiralturbine besteht, die fast senkrecht unter dem Wasserschloss arbeitet. Diese erbringt fast das Fünfzehnfache des alten Kraftwerkes. Man ist bestrebt, das alte Werk auf die UNO-Liste zu bekommen, was die Finanzierung des kostenintensiven Erhalts erleichtern würde. Ich hoffe sehr, dass das der Interessengemeinschaft gelingt. Auf der Gebirgsstrecke der Hardangervidda-Straße setzen wir die Fahrt fort. Es ist erstaunlich, wie wenig Gedanken sich die Norweger machen. Auf einer derartigen Straße wäre im Alpenbereich längst ein Wohnmobilverbot, da steht lediglich ein unscheinbares Schild mit einer zulässigen Maximallänge. Tonnagebegrenzung herrscht nicht, so wundert sich auch niemand, dass da Sattelzüge drüber hinweg fahren. Ich frage mich nur zuweilen, wie diese um die engen Kurven kommen, von einer Begegnung ganz zu schweigen. Fast an der Scheitelhöhe angekommen, machen wir eine Pause am Voringfossen, der unterhalb eines Hotels eine Felswand herabstürzt. Er ist der meistfotografierte Wasserfall in Norwegen und wohl das dritthäufigste Fotoobjekt in Europa. Wenn man davor steht, wird das leicht verständlich. Das Wasser stürzt mit solcher Wucht zu Tal, dass unten derartige Winde herrschen, dass ein weiterer kleiner Fall den Abgrund nicht erreicht. Er wird vorher wie von Zauberhand nach oben abgelenkt und zerstäubt. Übrigens haben die Norweger Wasser für den Kraftwerksbetrieb abgezweigt, mit dem er sonst noch wesentlich wilder gewesen wäre. Um die Mittagszeit verursacht die Sonne einen Regenbogen über dem Tal, der besonders vom darüber liegenden Hotel gut zu beobachten ist. Dafür ist es an diesem Tag leider zu spät und wir fahren über das vegetationsarme Fjell weiter. Selbst hier oben findet man Wasser ohne Ende, Seen und Bäche. Natürlich auch Strommasten, den man nutzt hier beinahe jede Möglichkeit für die Wasserkraft. Unglaublich ist die absolute Stille hier, weder Insekten noch Vögel, nur flache, mit Flechten übersäte Birken. Westlich von Hol, dessen Stabkirche wir noch in der Dämmerung erreichen, schlagen wir nach erlebnisreichen 393 Kilometern spät unser Lager auf.

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