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Die Tour

Die Strecke steht fest, ich habe sooft die Karten studiert, dass ich vermutlich ohne sie auskommen könnte, was ich natürlich dennoch nicht machen werde. Das Internet ist ebenso eine praktische Hilfe. Reiseberichte und Erfahrungen anderer Nordkapfreunde sind eine echte Bereicherung und machen uns das Leben wesentlich leichter. Als einziges Zeitproblem der Reise steht der Fährtermin am 15. August um 8 Uhr ab Hirtshals (Dänemark). Diese habe ich vorsichtshalber per Internet vorgebucht, ich war nicht scharf darauf, viele Stunden auf einen Fährplatz zu warten. Der weitere Weg folgt mehr oder weniger dem Eismeer in unterschiedlichen Entfernungen zur Küste. Im Süden werden wir ein paar Städte besuchen, doch stehen die landschaftlichen Höhepunkte im Vordergrund, da ein Kulturtrip wesentlich kostenintensiver ist und wir mit unserem Budget sowie der „praktischen“ Garderobe kaum ein Konzert besuchen können. Die eigentliche Reiseplanung hatte ich jedoch schon Jahre vorher im Kopf, der Bildband zieht sich wie ein roter Faden durch das lang gestreckte Land von Süd nach Nord. Demzufolge werde ich meinem Opa und mir einen kleinen Traum erfüllen und so viele Motive aus dem Buch, wie nur möglich, in Farbbildern zu verewigen. Aus diesem Grunde haben wir neben dem herkömmlichen Fotoapparat Digitalkamera und Videokamera dabei. Die Akkus von Telefonen und Kameras halten natürlich nicht ewig, was aber kein Problem ist. Mein Schwiegervater stellte uns zu diesem Zwecke seinen wirklich kompakten und sehr praktischen Notstromerzeuger zur Verfügung. Mit seinen Abmessungen haben wir das Utensil auch gleich „Kraftwürfel“ getauft, es sollte sich in vielerlei Hinsicht noch als sehr praktisch erweisen. Mein Bruder hat, von Zweifeln aller Art geplagt, förmlich bis zur letzten Minute geschraubt. Die Rücksitzbank und die hintere Hutablage mussten raus, der Stauraum war unverzichtbar. Damit verbunden musste die am Sitz angebrachte Endstufe sowie die Bassrolle raus, was meinen Bruder die Tränen in die Augen drückte, wurde doch soeben die hausabrisstaugliche „Stanze“ zu einem ordinären Autoradio „kastriert“. Der Einwand, dass man beim Fahren umbaubedingt vermutlich nichts mehr hören wird, war ja nicht von der Hand zu weisen. Unser degradiertes Radio haben wir später noch „Jazzer“ getauft, natürlich mit deutscher Aussprache, also gesprochen wie gelesen. Als ich dann am Mittag vor der Abreise das ganze Gepäck auf einem Haufen sah, verabschiedete ich mich komplett von dem Gedanken, im Schlechtwetterfall im Auto schlafen zu können. Als nach gut zwei Stunden alle Ersatzteile, Werkzeug, Reservekanister, Mischöl und sämtliche „alchimistischen“ Spritzusätze, Lebensmittel, Zelt, Schlafsäcke und Reisetaschen verstaut waren, so war das Auto schon ohne „Besatzung“ überladen!? Es hatte nur noch wenige Stunden zum Ausruhen, bevor es dann so einiges zu leisten hatte. Ich glaube, wir haben alle, der Trabbi, mein Bruder und ich, keine Minute Schlaf gefunden in dieser letzten Nacht vor dem Aufbruch…

Die Rennpappe in Aktion

Tag 1 - 14. August 2005 - „Gewaltmarsch“ nach Hirtshals

Der Wecker kreischt los, wirklich gebraucht haben wir ihn nicht, vor lauter Aufregung ist keiner zum Schlafen gekommen. Von Müdigkeit ist nichts zu spüren, total aufgedreht schlürfen wir den heißen starken Kaffee und kauen an den Brötchen. Wer weiß schon, wann es das nächste „gesittete“ Essen gibt? Sicher ist sicher! Mit saftiger Verspätung, wir schaffen es vermutlich nie, pünktlich zu derartigen Vorhaben zu starten, kommen wir an der Garage an. Es ist stockdunkel, nirgendwo Licht, wir fummeln an den Schlössern rum und reißen das Auto aus dem Tiefschlaf. Als ersten Fehlschlag empfinden wir das Fehlen der Schlüssel. Na prima, es fängt gut an! Nach ein paar Minuten Geschrei und Schuldzuweisung findet sich alles wieder, selbst die Papiere. Sogar die Polizei schaut auf der Streife mitten in der Nacht vorbei, interessiert sich aber nicht weiter dafür. Ich frage mich, was man noch anstellen muss, um sie „anzulocken“? Es reicht offensichtlich nicht aus, in stockfinsterer Nacht ohne Licht zu zweit ein Auto aus einer unbeleuchteten Garage zu schieben. Das gibt mir zu denken! Um 3 Uhr 50 ist es soweit, wir lassen den Motor an. Mit dem Kilometerstand 74.400,5 beginnt die Reise. Den ersten Teil des Tages fahre vorsichtshalber ich, mein Bruder ist „etwas“ nachtblind…

Noch vor der Auffahrt zur A 14 Leipzig - Messegelände frage ich mich, was ich hier gerade mache. Der Ofen zieht mit der Beladung überhaupt nicht und im 4. Gang bekomme ich geradeso einen Finger zwischen Lenkrad und Schalthebel. Und dann mit 80 auf der Autobahn „parken“!? Das kann alles heiter werden, doch ich tröste mich mit der Tatsache, dass alle großen Touren mit diesem Auto so begonnen haben. Ein chinesisches Sprichwort besagt, dass auch ein Marsch von 1000 Meilen mit einem einzigen Schritt beginnt, und ich weiß aus Erfahrung, dass sich ein Eichhörnchen zuweilen sehr mühsam ernährt. So schleichen wir dann dahin, die A 14 bis Magdeburg, dann die A 2 Richtung Hannover. Nach 180 Kilometern Fahrstrecke kommen wir in Niedersachsen an und befahren das „Ungläubigengebiet“ bei strömendem Regen. Irgendwo auf dem Weg zwischen Hannover und Hamburg lauschen wir dem lauter werdenden Klingeln des Motors. Das passiert häufiger, denn der Sprit ist nicht immer so toll, wie die Mineralölindustrie ihn anpreist. Klopfsteuerungsverwöhnte Viertaktfahrer bemerken das nie, wir hingegen schon. Vorsichtshalber halten wir auf einem Parkplatz an, der Pilzluftfilter ist noch da, daran liegt es nicht. Eine der Kerzen hat einen Ansatz zur Zweitaktbrücke, „Popel“ genannt. Das lässt sich leicht beheben. Ein Blick in den Tank lässt uns erschrecken, 3 Liter nur?! Bingo, der Benzinhahn steht nicht senkrecht, sondern etwas zu weit offen, das heißt, die Reserve war leicht geöffnet und wir wären ohne Vorwarnung auf der Autobahn stehen geblieben. Wir kippen den Ersatzkanister hinein und sind nach 425 Kilometern in Hamburg angekommen. Es ist 10 Uhr, kaum Verkehr und der Himmel scheint aufzureißen. An den Landungsbrücken finden wir einen Parkplatz, und die ersten gemischten Reaktionen. Von weniger dezent wegschauend über naserümpfend bis Begeisterung war alles enthalten. Zuerst erkunden wir den alten Elbtunnel zu Fuß, denn der ist dummerweise am Sonntag für Kraftfahrzeuge gesperrt. Das sollte uns noch in leichte Schwierigkeiten bringen, doch dazu später mehr. Die eine Seite fahren wir per Fahrstuhl hinab, laufen unter der Elbe hindurch und kommen auf der anderen Seite an. Die Tore der Traditionswerft von Blohm & Voss sowie deren Schwimmdock liegen dort, der Blick auf die Landungsbrücken sowie die Überseebrücke mit den schwimmenden Museen „Rickmer Rickmers“ und „Cap San Diego“ entschädigen uns für diese Mühen. Auf der St.-Pauli-Seite nehmen wir die Stufen, dadurch wird die Tunneltiefe greifbarer. In beiden Schächten sind umfangreiche Sanierungsarbeiten an den Aufzügen im Gange, von den alten Anlagen ist vieles in Planen verhüllt und versperrt die Sicht darauf. Die Sonne bahnt sich ihren Weg durch die Wolken und erlaubt uns ein Mittagessen im Freien mit Blick auf die Norderelbe sowie dem hektischen Fähr- und Hafenrundfahrtverkehr. Wir genießen den erstaunlich geringen Betrieb und fangen ein paar Sonnenstrahlen ein. Der weitere Weg sollte uns an sich durch den Tunnel in Richtung Köhlbrandbrücke führen, was leider nicht möglich war. So verfahren wir uns ein wenig, denn ich dachte nicht daran, dass wir so sonderbar durch den Freihafen fahren mussten, um zur besagten Brücke zu kommen. Nach einer totalen Verfahrung mitten in Veddel fragen wir nach dem richtigen Weg, und finden ihn sogar! Dummerweise ist die Hochbrücke wegen Filmdreharbeiten halbseitig gesperrt, was den Blick nach Norden erschwert, aber auch den Vorteil einer Tempobegrenzung hat, sodass wir besser mit der Videokamera filmen können. Der Autobahntunnel unter der Elbe hindurch war weniger spektakulär, als der Altonaer. Nun geht es nur noch nach Norden, wir haben streckenmäßig noch nicht einmal Halbzeit. Mit unserem „Topspeed“ kommen wir scheinbar nie an, es ist entsetzlich langweilig. An Schlaf ist ebenso nicht zu denken, Kopfstützen sind nicht vorhanden, vom Lärmpegel möchte ich lieber nicht beginnen. Vor der dänischen Grenze tanken wir noch alle Behältnisse voll, die wir mitführen, und machen eine kleine Bastelstunde. Zuerst verschiebe ich die Schaltstange, das ist kein Zustand! Der Scheibenwischer nervt mit seinen „Halteproblemchen“ auf dem Gestängekonus gewaltig. Es wäre ungünstig, ihn zu verlieren, wir könnten ihn durchaus noch brauchen. Endlich in Dänemark angekommen, entspannt sich die Lage ein wenig. Das Wetter wird immer besser und die dort geltende Geschwindigkeitsbegrenzung suggeriert uns nun endlich nicht mehr, scheinbar zu „stehen“. Als kleines Erfolgserlebnis „versägen“ wir ein uraltes, klappriges Wohnmobil. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass wir mit zunehmender Entfernung vom „Verbreitungsgebiet“ immer mehr zur Attraktion werden. An jedem Parkplatz sind wir im allgemeinen Interesse, die Insassen der überholenden Autos schauen erstaunt herüber. Punkt 21 Uhr sind wir in Hirtshals aufgeschlagen. Supertiming für den Sonnenuntergang, allerdings auch für endgültigen Spritmangel am Boulevard. Bemme fotografiert, ich besorge Sprit. Aber wo? Mit Englisch kommt man gut weiter, nach wenigen hundert Metern werde ich fündig. Der Kanister wird auf dem Rückweg allerdings mit jedem Schritt schwerer. Wieder flott sehen wir noch nach dem Fährterminal, um am nächsten Morgen nicht unnötig suchen zu müssen. Wenige Kilometer südlich finden wir einen Waldweg, den wir als Nachtlager auswählen. Nach ein paar Notizen in mein kluges Buch schlafen wir todmüde ein. Die 991 Tageskilometer waren daran sicher nicht unschuldig…

Tag 2 - 15. August 2005 - Die Überfahrt und andere Überraschungen

Trotz der Müdigkeit bin ich mit einem Auge munter, man kann nie wissen. Noch bevor der Wecker Punkt 6 Uhr Alarm schreit, höre ich schnelle Schritte am Zelt. Entwarnung, nur ein Jogger. Dennoch muss er wohl kurzsichtig sein, denn er hat das Zelt an einem Hering gestreift, und diesen verbogen. Wir stehen auf und bauen ab. Der Jogger war eine Frau, die uns auf ihrem Rückweg ein paar Brocken in Dänisch entgegensetzt, ich entschuldige mich und wir fahren zur Fähre. Das Einchecken war unspektakulär, an der Fährrampe sitzen wir leicht mit dem Spoiler auf und vernebelten das halbe Deck. Sehr zu Gunsten meines Bruders wurden wir nicht „eingestapelt“, es ist genug Platz um sein bestes Stück. Nun kann uns eigentlich nur noch der Untergang der Fähre aufhalten! Gewaschen haben wir uns auf der Fähre, im Anschluss haben wir umgehend und gut 2 Stunden das Brunchbuffet geplündert. Auf der weiteren Fahrt galt es im Windschatten des Schornsteins Pigmente zu haschen. Das etwas einseitige Schraubenwasser bewahrheitet die Ansprache des Kapitäns, „engine trouble“. Da hat das Schiff schon vier Maschinen und eine fällt aus!? Derartige Eskapaden können wir uns nicht leisten! Die Passage dauert eine Stunde länger als geplant. Vor dem Verlassen der Fähre kommen wir noch mit einem Briten und seinem Sohn ins Gespräch. Er will in der Kürze der Zeit wirklich alles über das Auto wissen, denn sein Sprössling gedenkt, sich einen Trabant zuzulegen. Lobenswerte Ansätze auf der Insel! Erwartungsgemäß sitzen wir nochmals auf, doch der gleißende Sonnenschein in Kristiansand entschädigt für alles. Mit dem verdutzten Blick des Zöllners im Rücken schlagen wir den Weg nach Lindesnes ein, dem südlichsten Punkt des Landes. Schon die Landschaft im Süden ist berauschend, nicht so flach und langweilig als noch am Vortag. Nach einer Berg- und Talfahrt auf wunderbar kurvenreichen Straßen erreichen wir das Kap Lindesnes. Das ganze Areal rund um den Leuchtturm ist ein Freilichtmuseum mit überdachten Ausstellungen zu einheimischer Natur, Landwirtschaft und Schifffahrt, den Resten einer deutschen Verteidigungslinie und natürlich dem Turm selbst. Sehenswert ist auch das weiß getünchte unscheinbare Bauwerk, das alte Kohlenfeuer, das den Schiffen lange vor dem modernen Leuchtturm den Weg wies. Die Szenerie mitsamt vor gelagerter Schären  wird von Sonnenschein, stürmischen Winden und den schaum gekrönten Wellen des Skaggerak umrahmt. Am Parkplatz steht ein Wegweiser in Richtung „Nordkapp“ mit der Entfernungsangabe 2518 km, allerdings ist hier die Luftlinie gemeint. Wir heben einen „etwas“ weiteren Weg vor uns. Am frühen Abend erleben wir eine sehr angenehme Überraschung, als wir an einer Tankstelle anhalten. Da steht doch wirklich ein Trabant 600 mit norwegischen Kennzeichen direkt vor uns! Der Besitzer war schon fast auf dem Heimweg, hält aber sofort an und kann es kaum fassen. Was dann passiert, muss man erlebt haben. Das halbe Dorf läuft zusammen, staunt, fragt und fotografiert wild durcheinander. Olav, so heißt der stolze Besitzer, erklärt uns, dass er das Auto aus Ungarn per Trailer geholt hatte und es in Norwegen nur aufgrund der Oldtimerzulassung fahren darf, andernfalls verstößt er gegen die Abgasnorm. Zwei Trabbis auf einem Haufen sieht man da nun wirklich selten. Wir erzählen und fachsimpeln sicher eine Stunde, bevor wir wieder in Fahrt kommen. Beim Tanken ergibt sich das nächste Problemchen, unsere erstgetauschten Kronen reichen nicht und meine EC-Karte nützt auch nix!? Nur Master oder Visa. Nach kurzer, aber lustiger Verhandlung zahle ich die Differenz mit gutem Kurs in Euro, die man im Süden gerade noch so akzeptiert. Wir folgen Olav, denn er bringt uns zu einem sehr idyllischen Biwakplatz in Hauge i Dalane. Zwischendurch ruft er noch den Bürgermeister an, denn wir sollten auf seinem Grundstück zelten und den Pool nutzen können, er erreicht ihn aber nicht. Eine kleine Stadtführung durch den historischen Ortskern, der nur aus bunten Holzhäuschen besteht, folgt umgehend. Danach übernachten wir an einem Platz direkt am Meer an der Dalane-Mündung, einem der unzähligen Lachsflüsse. Nach dem gestrigen Gewaltmarsch sind die heutigen 229 Kilometer der blanke Urlaub, wie es ab Kristiansand auch geplant war.

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